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CORONA-DIARIES

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4. Allegro

UND IN DER ZWISCHENZEIT: CORONA UND SO?

Während wir vier Frauen gestern am 30. April während der Tea-time hochproduktiv waren und über unserem Blog brüteten, hatte die berühmtberüchtigte Bild-Zeitung nichts Besseres zu tun, als eine negative Schlagzeile nach der Anderen rauszuhauen:

SCHLIMMSTE KRISE SEIT DEM KRIEG
Was der Wirtschafts-Crash
für unser Geld bedeutet (….)

BILD Zeitung Titel 1. Seite, 30. April 2020

 

Wirklich?

 

Erinnert sich irgendjemand wie die Zeit nach 1945 in Deutschlands großen

Städten und Wirtschaftszentren aussah?

Ernsthaft?

Nur weil eine Anreihung von Zahlen wirtschaftlich an eine sehr große Stagnation erinnern und die Abschwächung durch die Pandemie sehr viel größer ausfällt, als zunächst vielleicht noch Anfang März angenommen: 2. Weltkrieg, echt jetzt?

Weil das normale Leben einmal „on hold“ ist und nicht alles auf Kante und wie geschmiert funktioniert, und wir plötzlich auf das Eine oder Andere Rücksicht nehmen müssen. Natürlich dürfen ganze Wirtschaftszweige nicht im Regen stehen gelassen werden, aber den geistigen Brandschaden, den so eine Schlagzeile wiederum auslöst, finde ich auch 46 Jahre nach 1974 erschienene Publikation von Heinrich Böll nachwievor verwerflich.

MEINE ERSTE HELDIN

Und hier komme ich zu meiner ersten Heldin meiner Geschichte: Das erste Rolemodel.

Dorette Raabe, meine Großmutter, die ihre beiden Söhne Paul und Karl alleine in einer Sammelunterkunft am Hafen großziehen und ernähren musste, und die, wie mein Vater treffend formulierte „aus Scheiße Gold machte“- niemals den Mut verloren hat und ihr kleines Leben gelebt hat, bis sie 89 Jahre wurde.

Nur ein paar schwarzweiß Fotos von ihr sind mir geblieben und ihre Erzählungen vom Fußweg in Hamburg Wandsbek durch ganz Hamburg, morgens zu Fuß 35 Minuten hin zur Arbeit und abends wieder zurück. Das war ihr Alltag. Zur Familie von Bülow, Silberputzen und ähnliches, das war ihre Tätigkeit in den 30ern. Nur ein paar S/W-Fotos blieben mir, die sie lachend mit Hut und mit ihren Freundinnen beim Verkleiden in den 20ern zeigten, ausgelassen, fröhlich, so erinnere ich sie … Dörchen, die am 31.03.1901 geboren war.

Ich zitiere aus dem GEO EPOCHE Beitrag über meine Heimatstadt Hamburg, welches noch vor dem 2. Weltkrieg der drittgrößte Hafen nach New York und London war:

Wir erinnern uns: In Hamburg 45.000 Menschen durch Bombenhagel gestorben, 66.000 im Krieg gefallen oder ermordet worden und vermisst. Allein in meiner Heimatstadt. Mein Vater 1942 geboren, musste in den 50er Jahren mit anpacken und mit 14 Jahren schon in die Lehre gehen, die Familie miternähren.

© Nadja Raabe | PIP ©: GEO Epoche
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„Der Kaffeekauffmann Hans Erich Nossack schrieb am 30. November 1945:

Unser Tag beginnt um halb sechs. Von 8 bis 3 Uhr halte ich im Geschäft aus – erst ab 3 Uhr gehen die Verkehrsmittel wieder bin dann aber erfroren, zumal ich nur zwei Scheiben Brot mitnehmen kann, dass ich kaum mehr gehen kann. Und dann beginnt ein harter Kampf um die U-Bahn. Inzwischen hat meine Frau morgens Stunden gegeben, eilt mittags eine Stunde weit, um das Essen aus der Volksküche zu holen, worauf wir mangels Gas, Elektrizität und Kochgelegenheit angewiesen sind. Gegen drei Uhr macht sie auf der Brennhexe das Essen warm, dadurch wird das Zimmer ein wenig verschlagen, zwischen 5 und 6 Uhr versuche ich zu schlafen, um einen Vorhang zu ziehen und die fehlenden Kalorien gleichzeitig zu ersetzen. Später nehmen wir etwas teeartiges und einen kleinen Imbiss zu uns und sitzen uns bei einer 15-Watt-Kerze gegenüber, ich selbst sitze bis 1 Uhr in Decken gehüllt, um dann erfroren ins Bett zu kriechen.“

40.000 Kinder ohne Eltern, die Rationen der Briten werden bald auf 1200 Kalorien pro Tag runtergeschraubt, weil die Versorgung so schlecht ist.

Es dauert ein paar Jahre und fast ein Jahrzehnt später, bis in den 50ern wieder 31 Millionen Tonnen Güter im Hamburger Hafen umgesetzt werden können, vorher müssen 40 Millionen Kubikmeter Trümmer weggeschafft werden – und wer hat sie weggeschafft?

UND WER HAT DIE TRÜMMER WEGGESCHAFFT?

Na, wer wohl: Die Trümmerfrauen wurden sicher nicht mit ins Bruttosozialprodukt eingerechnet, genauso wenig wie die Blogs, Inhalte, Hilfsaktionen, wie „BeyondCrisis“ heutzutage, soziales Engagement und „soft skills“ werden nicht im BSP (Bruttosozialprodukt) der Bundesrepublik Deutschland genannt, dabei halte ich das Wegräumen von Trümmern und den Laden am Laufen zu halten eher für „hard skills“ – und nicht für „soft skills“.

 

Ohne dies wären Anfang der 50er Jahre die 31 Millionen Tonnen in der Hansestadt auch nicht umgesetzt worden.

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